Verfasst von: Juli. | 5. Juli 2019

Neun Freunde und ein Rassist

Es ist Samstagabend. In Italien wird die Kapitänin eines Rettungschiffes festgenommen, doch wir bekommen davon nichts mit. Du sagst, du willst Mauern bauen und die „Festung Europa“ wahr werden lassen. Gemeinsam sitzen wir an einem Tisch. Doch die Frage ist wie lange noch.

Wir – das ist eine bunte Truppe aus Schul-und Studienfreunden. Weltoffen. Bereist. Gebildet. Alle mit Hochschulabschluss und die meisten sogar kurz vorm Doktortitel. Wir kennen uns fast 20 Jahre, doch Politik war bisher nur selten ein Thema. Bundeskanzler wolltest du immer werden und ich dachte du wärst eine gute Alternative. Es wirkt als wolltest du direkt in Frau Merkels Fußstapfen treten: geboren in Ostdeutschland, Physikstudium, Mitglied der jungen Union.

Wir debattieren, argumentieren und analysieren. Sachlich, auch wenn die Emotionen innerlich kochen. Deine Frau kommt aus Guatemala und trotzdem willst du Europa abschotten. Das passt doch alles nicht zusammen. Wir sind zu viele Menschen auf der Erde, deshalb willst du die Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Rettungsmissionen interessieren dich nicht. Hast du eigentlich jemals ein Video einer Hilfsaktion aus dem Mittelmeer gesehen? Würde dein Helferinstinkt deine anti-humanitäre Einstellung überlisten, wenn du mit einer solchen Situation in der Realität konfrontiert wärst? Ich bin mir nicht mehr sicher. Denn du plädierst gegen die Verletzung oder sogar Abschaffung einiger Menschenrechte.

Vielleicht hätten wir an dieser Stelle einfach das Gespräch abbrechen sollen, aber wir waren wohl zu geschockt. Zu vernünftig, um uns einfach abzuwenden. Wir haben gehofft, dich mit unserem Menschenverstand umstimmen zu können. Doch daraus wurde nichts.

Du distanzierst dich von deinen Eltern, weil sie nicht nur AFD-Wähler, sondern sogar Parteimitglieder sind. Diese Abneigung ist gut, aber deine Ansichten sind kein Fünkchen besser. Wir sehen den Unterschied nicht wirklich. Wir sind geschockt. Zu geschockt, um dich Rassist zu nennen. Doch genau das bist du!

Am nächsten Morgen schütteln wir unsere Köpfe und sind noch immer fassunglos. War das wahr? Hast du das wirklich gesagt? Und vor allen Dingen, war das alles Ernst gemeint? Wir stehen vor der Frage, ob wir weiter versuchen dich zu überzeugen, dass deine Ansichten nicht die Lösung sein können, dass alle Menschen ein Recht auf Leben haben, dass… oder ob wir den Kontakt zu dir einfach abbrechen und dich weiter deine unzurechenbaren Pläne schmieden lassen…

Mir wird die Entscheidung abgenommen. Unsere Wohnorte sind auseinander gedriftet und ein paar Tage später bin ich wieder weit weg. Jeder von uns in seinem eigenen Kosmos.


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